Ein lustiges Spiel, wenn man draußen unterwegs ist:

Zu versuchen, aus Werbeplakaten die Realität der angesprochenen Bevölkerung herauszulesen.

Werbung spricht unsere unterdrückten Bedürfnisse an. Das heißt, du brauchst nur den Inhalt der Werbung ins Gegenteil verkehren, und du hast die psychologische Realität, in der die angesprochenen Menschen tatsächlich leben (= das Kompensationsprinzip).

BEISPIEL #1: „Schreib dein Buch“

Hier in Leipzig hängen überall Werbeplakate für einen Onlinekurs darin, wie man sein eigenes Buch schreibt und veröffentlicht.

Auf dem Plakat steht in fetten Lettern: „SCHREIB! DEIN! BUCH!“.

Was sagt uns das über die Leipziger?

Ein Buch zu schreiben heißt, mit seinen Gedanken gehört zu werden. Damit solche Werbung funktioniert, muss beim Publikum eine Sehnsucht danach da sein. Und eine Sehnsucht danach, gehört und beachtet und respektiert zu werden — bei welchen Menschen wird die am größten sein?

Bei den Menschen, die sich nicht gehört fühlen natürlich. Bei den Menschen, die als graue Mäuse durch das Leben gehen. Denen niemand zuhört. Die Gedanken und Gefühle unausgesprochen in sich tragen. Und denen das Leben wieder und wieder gezeigt hat, dass niemand sich für sie interessiert.

BEISPIEL #2: Frauenzeitschriften

Mach dir als Mann mal den Spaß und stell dich vor das Regal mit den Frauenzeitschriften.

Du wirst eine Menge lernen!

Das Cover einer Zeitschrift funktioniert wie ein Werbebanner. Das Cover muss ja schließlich die Aufmerksamkeit der Käuferin anziehen, damit das Heft gekauft wird.

Auch hier haben wir also das Kompensationsprinzip.

Drei Themen, die man immer wieder auf solchen Coverbildern sieht sind:

1. „Wie mache ich ihn verrückt im Bett?“
2. „Wie wirke ich schöner und jünger?“
3. „Wie erkenne ich, wenn der Partner fremdgeht?“

Und mein Lieber, was sagt uns das über die Realität vieler Frauen?

Sie wollen geliebt werden. Sie wollen, dass du sie begehrst. Sie wollen, dass du sie schön findest. Sie haben Angst, dass du sie hässlich findest oder „nicht gut genug“. Und sie fühlen sich verwundbar, machtlos und ausgeliefert, weil sie Angst haben, dass du ihnen das Herz brichst, wenn sie dich erst mal zu nah an sich heran gelassen haben.

Auch die Frau, die du vergötterst, und von der du glaubst, dass sie jeden haben könne oder dass sie wisse, wie schön sie ist, auch die liest diese Artikel.

Schau dir die Frauenzeitschriften an, wende das Kompensationsprinzip an, und du wirst sehen, wie es um Frauen wirklich steht.

Da soll noch einmal jemand sagen, schöne Frauen wären „genervt von Komplimenten“, oder man dürfe ihnen „nicht zu früh Interesse zeigen“, oder sie wären „arrogant und bitchig“.

Ich glaube, die Zeitschriften zeigen dir ganz deutlich, dass Frauen große Sehnsucht danach haben, dass ein Mann kommt, der sie wirklich ehrlich schön findet, der sie wirklich begehrt ohne sich dafür zu schämen, und der es versteht mit ihren Ängsten umzugehen und sie sanft zu behandeln, damit sie sich ihm öffnen können.

Du siehst, am Zeitschriftenregal kannst du sehr viel lernen!

BEISPIEL #3: Zigarettenwerbung

Das Plakat zeigt einen Mann, der sich eine Zigarette anzündet. Im Hintergrund steht ein geparktes Taxi. Der Text auf dem Plakat sagt: „1 Spätsicht. 20 Fahrten. 5 Minuten Freiheit“.

Was sagt uns das über die angesprochene Bevölkerungsgruppe?

Sie leben ihr Leben, als seien sie eine Produktionsmaschine. Sie fühlen sich fremdgesteuert. Sie leben nach dem, was ihnen gesagt wird. Und ihr größtes Bedürfnis ist es, auszubrechen aus ihrem Leben — und sei es nur für fünf Minuten.

(Die Werbung ist auch wieder ein schönes Beispiel dafür, wie falsch wir den Begriff der „Freiheit“ gebrauchen. Wenn du deinen Beruf als eine Qual empfindest, dann macht es dich nicht „frei“, dass du dir in der Pause eine Zigarette in die Lunge ziehst. Sondern im Gegenteil, du machst dich durch dieses Verhalten nur noch ein Stück weiter abhängig. Dass du dir von einem Plakat Lust auf eine Zigarette machen lässt, dass du einen Teil deines Arbeitslohns für Tabak ausgibst, und dass du — anstatt ehrlich und konsequent deinen Beruf entweder lieben zu lernen oder ihn zu wechseln — deine innere Stimme mit Nuckeln an einem Glimmstängel zu besänftigen versuchst — das alles beweist gerade deine Unfreiheit.)

Außen vor gelassen habe ich Werbung für Partnerbörsen, die uns zeigt, wie isoliert wir voneinander leben, mit unserer Verkopfung und mit unserer Wettkampfmentalität. Oder Werbung für Bio-Produkte, die uns zeigt, wie isoliert wir uns von der Natur fühlen mit unsere Bildschirmen und unseren To-Do-Listen.

Werbung ist ein schöner Spiegel unserer Zeit. Sie zeigt uns Dinge über uns selbst und über unser modernes Leben.

Man muss nur lernen, sie „rückwärts zu lesen“.