Der Komiker Dieter Nuhr hat’s schon bei der letzten großen Sexismusdebatte gefragt:
„Ist denn nicht der Mann an sich bereits eine sexuelle Belästigung?“
Natürlich meint er’s ironisch. Jede Sexismusdebatte tut so, als sei es schon ein Verbrechen, dass man überhaupt ein Mann ist und Frauen auch nur anschaut.
Genau dasselbe haben wir jetzt wieder…
Mit dem „Street Harassment Video“ (deutsch: „Straßenbelästigungsvideo“), das derzeit im Internet grassiert. Mehrere Leser haben mich inzwischen dazu angeschrieben und gefragt, was ich als großer Prediger des direkten Ansprechens denn nun davon halte.
In dem Video sieht man eine halbwegs attraktive Frau, wie sie durch New York läuft, und dabei alle paar Minuten von Typen angequatscht wird.
Die Macher des Videos behaupten, die Frau sei 10 Stunden durch New York gelaufen, und sei dabei mehr als 100mal angesprochen und belästigt worden.
Details bei der FAZ.
Natürlich fragen jetzt die Leute:
„Mensch Leo, was ist denn nun richtig? Ist es jetzt sexistisch, wenn man eine Frau auf der Straße anspricht, die einem gefällt?“
Guck:
Dieses Video ist eine Werbemasche.
Der Kerl der’s gemacht hat ist ein Werbefuzzi, der für seine Agentur PR machen will. Es geht darum, die Aufmerksamkeit der Leute zu fesseln. Und in einem mit Werbebotschaften überfluteten Markt geht das eben am besten, indem man einen „Skandal“ lostritt, über den die ganze Welt sich dann das Maul zerreißen kann. Jeder will seinen Senf dazu geben — und die Folge ist, dass der Macher des Videos profitiert. Man sagt dazu dann, man habe „eine öffentliche Diskussion“ anstoßen wollen. Das klingt dann gemeinnütziger, als wenn man sagen müsste, man habe bloß irgendwie Aufmerksamkeit kriegen wollen…
So. Und jetzt zum Inhalt:
Die Macher sagen, die Frau sei im Schnitt alle 6 Minuten angesprochen worden (100mal in 10 Stunden). Ob das stimmt — wer weiß das schon. Soweit ich sehe, gibt’s nur den zwei Minuten Clip, den Produzent Rob Bliss und hübsch zusammen geschnitten hat. Das heißt: Für jede Minute, die wir in dem Clip sehen was passiert, gibt es 300 Minuten, die wir NICHT sehen.
Alles was ich sage ist:
Wenn’s in New York wirklich so schlimm ist mit den Anmachen, dann frage ich mich, warum die gute Frau 10 Stunden hat laufen müssen, bevor man genug Material für den 2-Minuten-Clip im Kasten hatte.
So. Und jetzt stell’mer uns mal janz dumm, und wir tun einfach mal so, als ob das, was die Werbeagentur uns mit diesem Video sagen möchte, wirklich wahr sei. (Eine sehr dumme Annahme, ich weiß… aber eben nötig, um die Fragen zu beantworten, die sich einige verunsicherte Kerle jetzt stellen.)
Was ist da jetzt davon zu halten?
PUNKT 1:
Das Video spielt in New York City. Und die Amerikaner haben seit den 1790er Jahren ein ziemlich verkorkstes Verhältnis zur Sexualität. Der Buchautor Bill Bryson schreibt, das habe nichts mit den Puritanern zu tun gehabt. Vor 1791, schreibt er, war es normal, dass die meisten Frauen vor der Hochzeit schon schwanger waren. Sexualtabus waren bis dahin also überhaupt kein Thema bei den Amis.
Von 1791 an ging’s dann aber bergab. Da wurde dann plötzlich angefangen, sich für alle Körperteile zu schämen, die nicht Kopf, Hand oder Fußgelenk sind. Frauen, die Schmerzen in der Brust hatten, mussten beim Arzt sagen, sie hätten Schmerzen „im Bauch“ — weil jetzt nämlich plötzlich ALLES „Bauch“ war, was nicht Kopf, Hand oder Fußgelenk war. Das Wort „Brust“ war schlicht nicht aussprechbar. Die Leute wären also tatsächlich lieber gestorben, als dass sie selbst vor dem Arzt zugegeben hätten, dass sie so etwas wie Geschlechtsorgane besitzen.
Ich sage ja: Verkorkst!
Und wer jetzt denkt, „Ja Gott, das ist ja alles 200 Jahre her“… die Nachwirkungen spürt man trotzdem auch heute noch.
Erst kürzlich, im Jahr 2008, hat der französische Marketingexperte Clotaire Rapaille in seinem Buch „The Culture Code“ über die Amerikaner und ihr Verhältnis zu Sex etwas geschrieben, das ich unterschreiben kann:
Während für den Italiener Sex etwas zu tun hat mit Genuss, ist es für den Amerikaner ein Ausdruck von Gewalt.
Du hast richtig gehört: GEWALT.
Deshalb sagt der Amerikaner „f*ck you“. Deshalb sagt er, dass er eine Frau „flachgelegt“ habe.
Deshalb ist auch die Pickup-Literatur voll von Begriffen, die eigentlich dem Krieg entstammen:
Die Frau, die man anpeilt, ist das „Target“.
Der Kumpel mit dem man rausgeht, ist der „Wingman“.
Es geht ums Erobern, und ums zu lernen geht man zu „Bootcamps“.
Es ist ein Paradigma von „Wir gegen die“.
Und vor diesem kulturellen Hintergrund muss man auch dieses „Harassment Video“ sehen.
Sicher hat die amerikanische Psyche längst auch Einfluss auf uns Deutsche genommen. Wir konsumieren amerikanische Filme. Wir lesen amerikanische Bücher. Wir leben zum größten Teil den amerikanischen Lebensstil.
Aber eben nicht total — und deswegen glaube ich auch nicht, dass das „Street Harassment Video“ allzu viel aussagt über das Verhältnis von Mann und Frau in deutschen Städten. (Selbst dann nicht, wenn man so tut, als sei dieses Video wirklich eine ehrliche Dokumentation, und nicht das Werk einer Werbeagentur.)
PUNKT 2:
Was die Kerle in dem Video machen, ist stalken.
Diese Kerle suchen also gerade NICHT Nähe und Kommunikation mit der Frau als Mensch. Sondern sie spielen Spielchen mit ihr.
Die Kerle in dem Video machen gerade NICHT das, worüber wir hier reden — nämlich die Hosen runter lassen, sich zeigen, und zu sagen, „Entschuldige, du gefällst mir“. Sondern was sie machen, ist Machtspielchen mit der Frau zu spielen. Ihnen geht’s nicht darum, dass sie neugierig wären auf den Menschen, der hinter der schönen Fassade steckt. Sondern sie fühlen sich durch die Frau in ihrem Ego angestachelt. Sie wollen sich nicht verbinden — um Gottes Willen! Sondern sie wollen die Frau dominieren. Vielleicht sogar sie demütigen.
Was diese Männer in einer schönen Frau sehen, ist ein Angriff auf ihre Männlichkeit. Und damit können sie nicht umgehen. Der einzige Ausweg, den sie sehen, ist die Frau irgendwie „unter zu buttern“ (was im übrigen wieder etwas ist, das du in der amerikanischen Pickup-Literatur zuhauf findest… „cocky & funny“, „negging“, „DHV“).
Was diese Kerle machen, ist ziemlich unerwachsen.
Und natürlich gibt’s solche Kerle auch hier. Auch hier in Deutschland gibt es die Bauarbeiter, die ’ner schönen Frau auf dem Fahrrad hinterherpfeifen. Auch hier gibt’s den alten Sack, der der Studentin im Nachtclub an den Arsch greift. Auch hier gibt’s den Macho, der abends besoffen eine wildfremde Frau mit schmuddeligen Komplimenten nervt.
Aber siehst du nicht, was diese Kerle alle gemeinsam haben?
Sie haben alle SCHISS vor der Frau.
Die haben den großen Mund. Aber haben ihn nur deshalb, weil sie innerlich so verängstigt sind. Hund die bellen, beißen nicht. Und Kerle, die dauernd von Sex reden, haben in der Regel keinen. (Man nennt das auch „Kompensation“ – dazu gibt’s ein Segment in unserem Onlinekurs „Der Schlüssel zur Traumfrau“.)
Frauen erleben solche Kerle, das ist klar.
Von dem was ich so höre, von den Frauen die ich kenne, von den Frauen die mir schreiben, und von meiner Freundin, passiert’s nicht 10mal in der Stunde — sondern vielleicht eher zweimal im Monat. Aber es passiert, natürlich.
Und gerade WEIL es so viele Hoschis gibt, die Frauen auf so trampelige, unbeholfene und nicht ernstnehmbare Weise ansprechen, sind Frauen dir sofort dankbar, wenn du den Mut hast, AUFRICHTIG mit deinem Interesse zu sein.
Es ist halt ein Unterschied, ob jemand dir aus der Entfernung hinterher pfeift, ohne dass er sich selbst dabei angreifbar macht — oder ob er vor allen Leuten zu dir rüber läuft, dir sagt, dass du ihm gefällst, und dich offen und ehrlich und mit Anstand einlädt, dass ihr zusammen etwas trinken geht.
Man kann als Kerl natürlich bei jeder Frau mit Titten glotzen und irgendwelche Spielchen spielen. Sie angrinsen. Neben ihr her laufen. Sarkastische Bemerkungen machen. Sowas ist dann belästigend und „creepy“.
Man kann aber auch schönen Frauen gegenüber gelassen sein, in dem Selbstvertrauen, dass man dann, wenn die Frau kommt, die einen wirklich umhaut, die Eier haben wird, dass man hingeht, sich zeigt, ohne Spielchen, und ohne Ego-Schutzmanöver… und dass man vor allem mit ihrer Antwort umgehen kann. Dass man sich nicht „herabgesetzt“ fühlt oder aggressiv wird, bloß weil die Frau vielleicht gerade nicht das Gleiche will, wie man selbst.
Und dass man vor allem die Weisheit hat, zu begreifen, dass eine Frau nicht automatisch gleich ein „Upgrade“ für das eigene Leben ist, nur weil sie Modelmaße und ein hübsches Gesicht hat. Sie ist immer noch ein menschliches Wesen — und ob dein Leben glücklicher ist mit ihr in einer wichtigen Rolle oder nicht, das muss sich erstmal zeigen. Bevor du das wissen kannst, musst du sie erstmal kennen lernen.
Diese Bodenhaftung zu haben, diese Gelassenheit,das ist was einen Mann erwachsen macht. Und was, wie du dir jetzt sicher gut vorstellen kannst, gleichzeitig höchst sexy auf Frauen wirkt.