Ein Leser hat mich auf den Fall von Elliot Rodger aufmerksam gemacht. Dem 22jährigen Regisseurssohn, der 2014 in Kalifornien amokgelaufen ist und dabei sechs Menschen umgebracht hat.
Furchtbar.
Und so furchtbar unnötig vor allem.
Warum hat der Junge es getan?
Weil er sich so furchtbar zurückgewiesen gefühlt hat von „den Mädels“. Und weil er es hat nicht länger ertragen können, dass die hübschesten Mädels mit anderen Kerlen abhängen, während er mit 22 Jahren immer noch ungeküsst und Jungfrau ist
Das alles ergibt sich aus seinem Abschiedsbrief. Das Wort „Mädels“ („girls“) kommt darin 295 Mal vor.
Daran siehst du schon:
Der Junge war absolut BESESSEN von der Idee, dass Frauen ihm etwas vorenthalten.
Er hat sogar Videos auf YouTube gestellt, in denen er Sachen sagt wie (ich paraphrasiere):
„Ich lebe in so einer schönen Umgebung hier. So viel Schönheit überall. Und doch wird all diese Schönheit nur zum Spott, wenn man niemanden hat, mit dem man all das teilen kann.“
Oder:
„Ich bin so ein toller Kerl. Ich trage diese $300 Sonnenbrille. Ich fahre einen tollen BMW. Ich bin gut aussehend. Ich bin der perfekte Gentleman. Und trotzdem mögen die Mädels mich nicht.“
Weißt du, was mir an der Sache am meisten zu schaffen macht?
Dass ich solche Gedanken früher selbst gehabt habe.
Dieses Gefühl, dass man doch eigentlich ein guter Kerl ist und Frauen verdient hätte.
Dass man sich alle Mühe gibt, und trotzdem immer abgewiesen oder nicht ernst genommen wird.
Dass es so furchtbar ungerecht ist, dass anderen Kerlen die Mädels scheinbar einfach so zufliegen, während man sich selber den Arsch aufreißt und am Ende trotzdem einsam ist.
Dieses Gefühl, dass du auf keine Party gehen kannst, weil du überall schöne Frauen siehst die sich mit anderen Kerlen unterhalten, und das für dich jedesmal wie ein Tritt ins Gesicht ist vom Universum, das dir scheinbar sagen will: „Sieh her! Jeder andere Kerl kriegt’s gebacken. Nur du nicht!“.
Nicht jeder Kerl, der single ist, empfindet das alles so krass.
Aber frag dich selbst:
Hast du selbst nicht schon mal so gedacht?
Ich weiß, dass ich’s habe.
Wir „fallen“ in solche Gedankenmuster hinein, weil dahinter ein mächtiges psychologisches Phänomen steht, das so alt ist wie die Menschheit selbst:
Projektion.
(Das ist ein Thema, das wir schon im Hörbuch „Liebeskummer“ besprochen hatten. Falls du das Hörbuch noch nicht hast, findest du es hier auf der Website bei den kostenlosen Ressourcen.)
„Projektion“ bedeutet:
Du hast dir ein Selbstbild gebaut, das einseitig ist. Du bist wie ein Mann mit „Tennisarm“: Die eine Seite ist übertrainiert, und die andere ist schmächtig und verkümmert.
Die Folge ist, dass dein ganzes Wesen sich danach sehnt, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Du sehnst dich danach, ausgeglichen zu werden. Du sehnst dich nach Vollständigkeit. Und weil du die nicht „hier drinnen“ in dir selber findest, projizierst du den „Schlüssel“ zu deiner Vollständigkeit auf jemanden „da draußen“.
Es läuft so ab:
Du hast eine „Art zu funktionieren“ entdeckt, die für dich funktioniert. Die hast du weiter und weiter entwickelt. Und jetzt ist es die einzige, mit der du dich sicher fühlst.
Du hast dir zum Beispiel angewöhnt, dich immer auf deinen Intellekt zu verlassen. Alles versuchst du mit dem Verstand zu lösen. Du hast immer ein Ziel, und dieses Ziel versuchst du mit allen Mitteln durch zu brechen.
Das bedeutet gleichzeitig, dass du die andere Seite des Lebens vernachlässigst. Die Seite, die sich einfügt. Die Seite, die nicht denkt, sondern fühlt. Die Seite, die Dinge nicht erzwingt, sondern die Dinge geschehen lässt.
Diese ganze andere Seite des Lebens ist dir verschlossen.
Und gleichzeitig fehlt sie dir.
Es baut sich eine Sehnsucht in dir auf, die fast schon religiöse Züge hat. Und weil diese Sehnsucht irgendein Ventil braucht, greift sie sich dann eben irgendetwas in deiner Außenwelt.
So entsteht Besessenheit.
Die kann schwach und unbewusst sein – und du bemerkst sie immer nur dann, wenn deine Erwartungen enttäuscht werden.
Oder sie kann so mächtig werden, dass dein ganzes Leben davon vereinnahmt wird und sich alles nur noch um diese eine Sache dreht.
Und diese „eine Sache“ kann alles Mögliche sein.
Der eine Kerl ist besessen von einer Theorie oder Weltanschauung. Der andere ist besessen von Drogen oder Saufparties. Und für den nächsten richtet sich die Besessenheit eben auf Frauen und Sex.
Damit hast du jetzt auch die Antwort auf die Frage, die du dir selbst vielleicht schon öfter gestellt hast:
Warum sind es oft gerade die intelligenten Kerle, denen es mit Frauen so schwer fällt?
Warum tut sich ein Kerl, der sonst im Leben alles unter Kontrolle hat so furchtbar schwer in diesem Bereich, während den „dummen“, „einfach gestrickten“ Typen die Frauen scheinbar von alleine zufliegen?
Es ist genau aus diesem Grund der Projektion:
Je mehr du fokussiert bist auf deinen Intellekt, umso stärker die Sehnsucht nach der „ANDEREN SEITE“.
Je stärker dein Denken ist, umso mehr vermisst du das Fühlen.
Je stärker du im Leben „pushst“, umso mehr vermisst du das Loslassen und Empfangenkönnen.
Und all das projiziert sich dann auf Frauen.
Du siehst dann die Frau (und ihre Aufmerksamkeit, und ihre Zuneigung) — und du siehst all das plötzlich als den Schlüssel zu deiner eigenen Vollständigkeit.
Dann scheint es also, als hinge deine ganze Existenz, deine ganze Lebendigkeit, allein ab von Frauen.
Anstatt zu leben, wartest du dann auf Frauen.
Und der ganze Frust über die verschwendete Lebenszeit, der überträgt sich dann ebenso auf dein Verhältnis zu Frauen. Du liebst sie und du hasst sie. Kein Wunder, dass es da dann irgenwann nicht mehr voran geht.
Der schweizer Psychologe Carl Gustav Jung hat ein paar sehr passende Worte dazu geschrieben.
Hier das Zitat:
„Es ist der natürliche Gang der Dinge, dass unbewusste Inhalte projiziert werden. […] Jeder normale Mensch unserer Zeit, der nicht über das normale Maß hinaus reflektiert, ist durch ein ganzes Netzwerk an Projektionen an seine Umgebung gebunden. Solange alles gut läuft, ist ihm der zwanghafte, d.h. ‚magische‘ oder ‚mystische‘ Charakter dieser Beziehungen völlig unbewusst.“
Deutsch:
Es ist normal, dass du mehr in einer Frau siehst, als sie eigentlich ist.
Ein Mann ist nicht psychisch krank, wenn er in einer Frau einen „Engel“ oder ein „wundervolles Wesen“ sieht, von dem er sich „Erlösung“ erhofft.
Das ist der normale Gang der Dinge.
Die menschliche Psyche funktioniert eben so.
Das Wichtige ist, dass man diesen Prozess in sich selbst bemerkt. Wenn man versteht, was gerade in einem abläuft, ist man dem Prozess nicht ausgeliefert. Man behält dann seinen Humor über die Sache, und fällt nicht (wie Elliot Rodger) in ein tiefes Loch, bloß weil die Frau, die man toll findet, an einem nicht interessiert ist.
Weiter im Zitat (und für das Wort „Objekt“ hier kannst du genauso lesen „Frauen“):
„Solange die [Lebensenergie] diese Projektionen als angenehme und bequeme Brücken zur Realität benutzen kann, wird durch sie das Leben leichter. Sobald aber die [Lebensenergie] einen anderen Pfad einschlagen will, […] verwandeln sie sich zum größten Hindernis das man sich vorstellen kann, weil sie jede wirkliche Ablösung von dem begehrten Objekt verhindern. Wir beobachten dann das charakteristische Phänomen, wie der Mensch versucht, das begehrte Objekt so stark wie möglich abzuwerten, um seine [Lebensenergie] daraus befreit zu bekommen.“
Das ist exakt der Fall Elliot Rodger:
Er hat sein komplettes Lebensglück auf Frauen projiziert. Völlig unreflektiert natürlich — denn jeder Kerl, der schon mal Sex gehabt hat weiß: Das fühlt sich gut an, ohne Frage. Aber ein „neuer Mensch“ bist du danach nicht. Selbst nach der heißesten Nacht mit der schönsten Frau bist du derselbe Kerl, der du vorher warst. Du wirst immer noch dieselben Ängste haben. Du wirst immer noch genauso wenig wissen, was du mit deinem Leben anstellen willst. Genauso schlechte Laune haben wenn Sachen schief laufen. Genauso sehr versuchen, Andere von dir zu beeindrucken. Und so weiter.
Sex „löst“ nicht das Leben.
Trotzdem hat dieser Typ alles auf diese eine Karte gesetzt.
Und als die Frauen dann nicht gleich so mitgespielt haben, wie er es sich vorgestellt hat, meinte er, es bliebe ihm nichts anderes als sie zu zerstören.
(Traurig, oder?)
Weiter mit Jung:
„Weil aber die Bindung durch die Projektion subjektiver Inhalte entstanden ist, kann eine vollständige und dauerhafte Ablösung erst stattfinden, wenn das Imago [d.h. das mit Emotionen beladene Bild der Frau in deinem Kopf], das sich im Objekt gespiegelt hat, zusammen mit seiner Bedeutung im Subjekt selbst wieder hergestellt worden ist. Diese Wiederherstellung wird durch bewusstes Erkennen des projizierten Inhalts erzielt, d.h. indem man den ’symbolischen Wert‘ des Objekts anerkennt.“
Das heißt:
Frauen werden Macht über dich haben, bis du begreifst, dass du in Wahrheit etwas in dir selber suchst.
Du wirst dich Frauen so lange ausgeliefert fühlen, wie du nicht verstehst, was es eigentlich ist, was du in ihnen siehst — und auf welche Weise du genau diese Sache im Moment in deinem eigenen Leben unterdrückst.
Die Sehnsucht, die der Anblick von schönen Frauen in dir auslöst, spiegelt dir vor, in welchem Maße deine eigene Persönlichkeit im Moment „unrund“ ist.
Kerle schreiben mir oft:
„Wenn ich bloß eine Freundin hätte, DANN könnte ich endlich einen schönen Urlaub machen.“
Oder:
„Wenn ich bloß eine Freundin hätte, DANN könnte ich die schönen Sachen im Leben wirklich genießen.“
Sie warten auf eine Frau, um für sich selbst Erlaubnis zu haben, etwas für sich selbst zu tun!
Sie machen so Vieles in ihrem eigenen Leben abhängig von einer Frau. Kein Wunder, dass sie so viel Angst vor Frauen haben, und so viel Schiss davor, etwas falsch zu machen.
Wenn du denkst, die Frau da drüben ist der Schlüssel zu deinem Lebensglück — dann klar, dann ist es plötzlich eine RIESENSACHE sie anzusprechen.
Dein ganzes Leben ist dann wie ein Stausee:
Du lässt es nicht fließen, sondern alles staut sich an dem Thema „Frauen“.
Deshalb ist es wichtig, diese Staumauer so schnell wie möglich einzureißen.
Doktor Jung sagt:
[Erst] die Ablösung der Imagos [d.h. der emotionsbeladenen Bilder der Frau in deinem Kopf], die dem Objekt seinen überhöhten Stellenwert geben, geben dem Subjekt die Energie wieder zurück, die auf diese Weise von ihm abgespalten gewesen ist, und die es für seine eigene Entwicklung benötigt.
Quelle: C.G. Jung, Gesammelte Werke, 8-IV
Und nicht, dass du das falsch verstehst:
Es geht nicht darum, enthaltsam zu leben, oder Frauen ab jetzt zu ignorieren.
Es geht darum, mit Frauen in ein normales Verhältnis zu treten.
Aufzuhören, Frauen als „den Schlüssel für Alles“ zu sehen. Und stattdessen der Frau Mensch-zu-Mensch zu begegnen.
Zu begreifen, dass sie genauso viel Schiss hat wie du.
Dass sie genauso unsicher ist wie du.
Dass sie sich genauso für ihre Bedürfnisse schämt wie du.
Dass sie genauso unreif ist wie du. Und dass sie genauso ihre Unsicherheit mit einer coolen Fassade zu überdecken versucht, wie du — nicht aus Boshaftigkeit, sondern, im Gegenteil, aus Angst vor Ablehnung.