Stell dir vor, du bist draußen unterwegs.
Einkaufsstraße. Dichtes Gedrängel. Es ist kalt und nass, die Leute sind unterwegs nach Hause oder machen noch schnell Besorgungen für Weihnachten. Nicht mehr lange, und es wird dunkel.
Auch du bist auf dem Weg nach Hause. Dir ist kalt, und du gehst zügig. Deine Augen sind nach unten gerichtet. Du willst schnell vorankommen und nicht stolpern, das ist alles.
Trotzdem passiert es.
Du kannst dich nicht dagegen wehren. Du kannst auf den Boden gucken wie du willst. Trotzdem siehst du SIE im Augenwinkel. Eigentlich nur eine Silhouette. Eigentlich nur ein Schatten. Und trotzdem registrieren deine Augen sie sofort.
Du kannst nicht weggucken.
Sie hat den Gang. Sie hat die Figur. Sie hat das Gesicht, das Kinn, die Augen. Ihr Anblick trifft dich wie der Schlag. Und dir wird warm — nicht ums Herz, nein. Sondern um den Magen. Du fühlst es. Die Hitze steigt in dir hoch. Strahlt aus aus deinem Zentrum — vom Bauch, nach oben in die Brust und in den Hals, und nach unten in die Beine.
Die Zeit steht still.
Es ist dieser Zustand, der dir früher Angst gemacht hätte. Von dem du früher gesagt hättest, „Ich war wie gelähmt“. Aber das war früher. Der Zustand ist derselbe — aber als „Lähmung“ begreifst du dieses Gefühl in deinem Körper längst nicht mehr. Für dich ist es das Gefühl von Lebendigkeit.
Du hast keine Angst mehr vor dir selbst.
Und so gehst du hin. Zu dieser wildfremden Frau. Läufst ihr hinterher. Sprichst sie an. Und weil du gelernt hast, authentisch zu sein, und weil du keine Spielchen spielst, und weil sie das merkt — deshalb lächelt sie. Schüchtern. Und wird ein bisschen rot.
Es ist keine Zeit für belanglosen Smalltalk. Du stehst eh viel zu sehr unter Strom dafür. Und es ist kalt. Und nass. Ihr beide wollt weiter — aber trotzdem ist es da. Dieses Knistern. Diese Erwartung, Ungewissheit Neugier, Spannung. Sie sieht sie in deinen Augen, und du siehst sie in ihren.
Und so vereinbart ihr ein Treffen. Keine zwei Minuten dauert es. Du weißt, was du willst. Und sie spürt, das sie dir vertraut. Mehr Worte sind nicht nötig.
Und so geht ihr beide auseinander. Eben noch seid ihr Fremde gewesen. Wärt euch womöglich nie wieder begegnet in diesem Leben. Und jetzt dieser dünne Faden zwischen euch. Kein Band bis jetzt. Nichts Festes. Aber immerhin: Der Keim einer neuen Beziehung.
Die Welt sieht plötzlich anders aus. Noch immer ist es kalt. Noch immer ist es nass. Aber dein Gang ist aufrechter geworden. Zackiger. Du schaust nicht mehr nach unten, sondern du schaust nach vorne. Du strahlst von Innen. Nicht, weil Laura (so heißt sie, und du weißt es sogar noch) sich mit dir treffen will. Sondern weil du etwas außergewöhnliches getan hast. Das Schicksal hat gerufen, und du hast es gehört, und du bist hingegangen. Du hast dem Tag seine Bestimmung gegeben. Hast ihn zu etwas Besonderem gemacht, in dieser einen Sekunde der Entscheidung. Und das fühlt sich gut an, und fühlt sich richtig an.
Das, mein Freund, kann dein Erlebnis sein.
Vielleicht noch diesen Dezember.
Stell dir vor du hast dein Date mit Laura. Und anders als früher, gelingt es dir, du selbst zu bleiben. Gelingt es dir, relaxt zu sein, und Nähe zuzulassen.
Du bist aufgeregt, na klar! Aber du hast Vertrauen in dich. Du versuchst nicht, zu beeindrucken. Du schaffst es, deinen Körper zu entspannen. Du atmest. Du siehst Laura an, und du hörst ihr zu.
Und sie blüht auf.
Sie lächelt dich an, mit ihren großen, schönen Augen. Und sie sitzt neben dir. Nah. Du hast ihren Duft in der Nase, und du fühlst ihre Stimme, spürst die Vibrationen in deinem Körper. Ihr redet nicht nur — ihr kommuniziert. Ihr verbindet euch. Kommt euch näher.
Du küsst sie nicht bei diesem Treffen.
Du gehst nach Hause ohne Trophäe, ohne Sieg.
Aber es liegt Spannung in der Luft.
Du spürst, dass etwas passiert ist. Und sie spürt es auch.
Ja, du hättest sie küssen können. Es war dieser Moment. Der Moment, wo ihr Gesicht ganz nah an deinem war. Wo ihr Blick nach unten gefallen ist auf deine Lippen. Du hast den Moment gespürt. Du warst anwesend, und in deinem Körper. Und du hättest es tun können. Aber du fühlst keine Reue. Es war richtig, dass du es nicht getan hast. Es war ein Zeichen. Du hast Laura gezeigt, dass du Selbstbeherrschung hast. Du hast sie fühlen lassen, dass du sie begehrst, dass du sie schön findest, dass du angetörnt bist von ihrer Nähe — aber dass du dich unter Kontrolle hast, und dass sie sich sicher fühlen kann mit dir. Du hast ihr gezeigt, dass sie bei dir gut aufgehoben ist. Dass du es verstehst, sie zu „halten“. Dass du nicht der kleine Junge bist, der nach den Süßigkeiten greift, wenn er sie vor der Nase hat — sondern dass du ein erwachsener Mann bist, der gut ist für Laura. Ein Mann mit Stärke, und mit Zurückhaltung. Mit Leidenschaft, und mit Kultur.
Du bist nicht im Rausch. Schwebst nicht in Fantasien. Sondern du fühlst dich bodenständig. Ehrlich. Fühlst, dass du „bei dir bist“.
Und so fällt’s dir auch nicht schwer, Laura ein paar Tage später zu fragen, ob sie nicht Lust hat, Freitagabend rüber zu kommen zu dir, für einen gemütlichen Abend zusammen.
Sie weiß, was das bedeutet. Und du weißt es auch. Aber es ist okay für sie, und es ist okay für dich. Weil das zwischen euch kein Machtspiel ist. Weil es nicht um Kontrolle geht, und darum, wer wen steuert. Sondern um Nähe, um Wärme, und um Kontakt zwischen zwei Menschen — zwischen einer Frau und einem Mann, die beide erwachsen handeln, in einem Kontext von Ehrlichkeit und Vertrauen.